Interview

7 Fragen an die Fotografin – ein Interview

Angelika, in Deiner fotografischen Arbeit kommst Du dem Menschen oft sehr nah. Wie gelingt Dir das?

Zunächst stelle ich mich ganz auf mein Gegenüber ein und versuche wahrzunehmen: mit welcher Persönlichkeit habe ich es zu tun, was umgibt diesen Menschen, wie zeigt er sich, was möchte er lieber im Verborgenen lassen? Hier kommt mir meine jahrelange soziale Arbeit zugute. Ich schaffe eine möglichst wertschätzende und empathische Atmosphäre, in der sich die meisten meiner Kunden rasch entspannen und ihre Scheu vor mir und der Kamera verlieren. Den Menschen vor der Kamera lasse ich sein, wie er ist, setze ihn nicht unter Druck, verlange ihm nichts ab, fordere nichts. Ich habe kein bestimmtes Bild seiner Performance im Kopf, sondern der Mensch offenbart sich mir in den vielen und meist bunten Facetten seiner Individualität. Freiwillig, mit offenem Herzen und hoffentlich einer Menge Spaß. Das ist mir wichtig, denn nur dann geraten wir gemeinsam in einen guten (Work-)Flow.

Was ist Dein wichtigstes Handwerkszeug?

Neben meiner Kamera sind dies wohl meine Kreativität und Sensitivität. Meine Fähigkeit, mich achtsam einzufühlen und bei Bedarf sehr schnell „umswitchen“ zu können. Es gelingt mir so gut wie immer, auch aus unerwarteten Situationen das Beste zu machen. Dazu braucht es geistige Beweglichkeit, Vorstellungskraft, Phantasie und schöpferischen Einfallsreichtum. Für mich ist es nicht so wahnsinnig wichtig, mit welchen praktischen Mitteln ein Bild entstanden ist und ob es technisch perfekt ist. Mich interessiert vor allem, was dieses Bild erzählt, was es aussagt, welche Empfindung oder Gedanken es beim Betrachter auslöst.

Deine Fotos haben immer eine spezielle Ästhetik. Ist das Programm?

Ja, das ist mir ungeheuer wichtig. Vielleicht bin ich prinzipiell auf der Suche nach Schönheit. Aber nicht immer im üblichen Sinn. Sehr oft reizt es mich, auch in unscheinbaren, wenig ansprechenden Dingen eine eigene Ästhetik zu entdecken. Viele Kunden bestätigen mir eine ausgeprägte künstlerische Ader. Früher schon habe ich als Autodidaktin Gold geschmiedet, heute male ich viel und bin zudem als Kunsttherapeutin tätig.

Die gestalterische Auseinandersetzung in der bildenden Kunst beeinflusst natürlich auch meine fotografische Arbeit – und umgekehrt. Mein Blick für die Dinge und mein Auge für Kompositionen kommen völlig aus meinem Inneren. Ganz gleich, ob ich ein Still fotografiere, in einem Unternehmen Imagebilder mache, einen industriellen Herstellprozess festhalte oder Menschen portraitiere – eine gewisse Ästhetik wird immer sichtbar sein, sie fließt einfach mit ein.

Erstaunlicherweise unterscheidest Du ja zwischen sehen und schauen. Was genau meinst Du damit?

Für mich ist das ein großer Unterschied. Biologistisch betrachtet ist das Sehen die Erregung unserer Sinnestätigkeit durch einen äußeren visuellen Reiz. Uns fällt beim Sehen sozusagen etwas ins Auge und wir richten die Aufmerksamkeit darauf. „Schauen“ ist für mich ein eher passiver Prozess, bei dem ich eine offene, abwartende Haltung einnehme. Ein intensives „Mit der Seele-Sehen“, bei dem ich mich über das Auge ganz auf das Betrachtete einlasse, es sozusagen in mich aufnehme, es geschehen lasse und möglicherweise ganz eintauche. Schauen ist für mich also die eher kontemplative Form des Sehens.

Welche Eigenschaften sollten Deiner Meinung nach einen guten Fotografen auszeichnen?

Das kommt ganz darauf an, in welchem beruflichen Genre man unterwegs ist und welche Art der Fotografie gewünscht wird. Eine fotojournalistische Arbeit ist ein Abbild der Realität, da darf nichts verfälscht werden. Wird hingegen der Interpretation mehr Raum gelassen, kommen eher der persönliche Stil, der individuelle Blick ins Spiel. Hier sind dann das Bedingungsfeld und der Gestaltungsrahmen sehr wichtig. Entweder, der Fotograf gestaltet selbst, er inszeniert, arrangiert und entwickelt – oder er fügt und ordnet sich selbst an einer passenden Stelle ein, wird ein Teil des Ganzen. Das ist die Variante, die ich zumeist bevorzuge, denn so kann ich scheinbar unsichtbar mit der Kamera mitschwingen. Ich werde nicht als eingreifend oder gar störend empfunden, sondern bin in einem lebendigen Kontakt und bekomme deshalb sehr viele natürliche und authentische Motive. Und noch dazu wunderbar freie Begegnungen!

Warum bist Du Fotografin geworden?

Schon als Kind habe ich versucht mir vorzustellen, wie sich das Leben anderer Menschen anfühlen mag. Wahnsinnig gern wäre ich damals wenigstens für einen Tag in die Haut eines anderen geschlüpft, um das fremde Leben zu erfahren und auszuprobieren. Dabei ging es gar nicht um die Prinzessin, Modedesignerin, Tänzerin oder sonstige wichtige Rollen im Leben eines Mädchens. Es war das Leben ganz normaler Menschen, wie dem Tankwart, der Bäckereiverkäuferin, dem Nachbarskind, das mich interessierte. Die Möglichkeit, in andere Lebenswelten einzutauchen, hat mir die Fotografie zumindest ein wenig eröffnet.

Du warst Meisterschülerin bei Prof. Arno Fischer (†) an der Ostkreuzschule für Fotografie in Berlin.
Was war er für Dich?

Ganz einfach: Mein bislang bedeutendster Lehrer der Fotografie! In einem Interview sagt er einmal: „Fotografie ist eine technische Möglichkeit für einen schöpferischen Menschen, sich auszudrücken. Das ist die Kunst.“

Darin finde auch ich mich wieder. Von Arno Fischer habe ich vor allem gelernt, nach der Empfindung, der Emotionalität in Bildern zu fragen. Seine spezielle Betrachtungsweise hat meinen eigenen fotografischen Blick auf die Welt maßgeblich verändert, in die Weite geführt. Mit seinem unglaublichen Gefühl für erzählende Bilder hat er mir gezeigt, wo meine Fotos schöpferisch „zu schwingen“ anfingen, wie er es nannte. So habe ich mehr und mehr gelernt, mit der Kamera zu erzählen und zu komponieren. Dieser künstlerische Aspekt der Fotografie ist einfach das, was mich am meisten reizt.

 

Interview: Birgit Laue, August 2015